Hämangiom, infantiles

Zuletzt geändert von Thomas Brinkmeier am 2023/12/10 20:04

Hämangiom, infantiles

Syn: Blutschwamm

Def: gutartiger, meist solitärer, kapillärer Gefäßtumor (rein kutan, subkutan oder kombiniert kutan-subkutan) als aberrante Proliferation und Differenzierung eines primitiven, vom Mesoderm abstammenden Endothels, welches mutmaßlich durch das Renin-Angiotensin-System reguliert wird und eine plazentaähnliche Antigenstruktur aufweist

Lok: Prädilektionsstelle: Kopf-Hals-Region

So: segmentale infantile Hämangiome, teils mit assoziierten Fehlbildungen

Lok: bevorzugt Kopf-Hals-Region, obere Extremität oder lumbosakral

Man: spätestens bis zur 6. Lebenswoche

Aus: multiple infantile Hämangiome

CV: nie zum Zeitpunkt der Geburt

Vork: 4-5% aller Säuglinge

Prävalenz von 10-12% zum Ende des Säuglingsalters nach 12 Monaten

bei ca. 30% aller Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1000 g

weibliches Geschlecht überwiegt (3:1)

Pg: hypoxische Hochregulation von Gefäßwachstumsfaktoren aufgrund

- lokaler oder regionaler (arterielle Fehlbildung) Gewebshypoxie

Folg: lokale oder regionale Hämangiome

Embolisation plazentarer Gefäße mit disseminierter Gewebshypoxie

Folg: multiple Hämangiome

Risk: - Frühgeburtlichkeit mit niedrigem Geburtsgewicht

- Anomalien der Plazenta

KL: weiche, hellrote bis dunkelrote (je nach Dicke der darüberliegenden Hautschichten) Plaques oder Knoten 4 2

Verl: dreiphasiger Verlauf:

- Proliferationsphase: meist erste 6-9 Monate anhaltend, meist betont vom 2.-5. Lebensmonat, bei subkutanen im Vergleich zu rein kutanen Tumoren oft prolongiert

- Übergangsphase: variabel lang andauernd

- Involutionsphase (obligat): bei ca. 80-90% der Tumore bis zum 4. Lebensjahr, bei großen Tumoren ausnahmsweise bis zum 10. Lebensjahr 2

Kopl: - Blutungen nach Bagatellverletzungen (insgesamt aber selten im Gegensatz zum Granuloma pyogenicum)

Infektion

Kompressionssymptome (Auge, Mund, Nase, Ohr) mit funktionellen Beeinträchtigungen und/oder Deformitäten

Ulzeration

Risk: Lokalisation in der Anogenitalregion

sekundäre Hypothyreose durch Deiodierung der Schilddrüsenhormone im Hämangiomgewebe

assoziierte Fehlbildungen bei syndromalem Auftreten

ästhetische Einschränkungen, ggf. auch durch Residuen

Di: Bei typischer Anamnese und Klinik sind keine weiteren Untersuchungen notwendig. Ansonsten bestimmen Lokalisation, Größe bzw. Dynamik das weitere Vorgehen:

- Sonographie

- MRT

- Angiographie

- TSH im Serum

Ind: multiple kutane infantile Hämangiome (ab 5)

IHC: positiv für GLUT-1 (Glukose-Transporter-1)

Ind: Gefäßtumor unklarer Klassifikation

Note: keine Expression von GLUT-1 bei den unten genannten differenzialdiagnostischen Entitäten

So: - multifokale infantile Hämangiome (mindestens 5) mit fakultativ extrakutaner Beteiligung (Gehirn, Lunge, Gastrointestinaltrakt)

Man: Im Gegensatz zu den solitären infantilen Hämangiomen ist eine Manifestation noch etwa bis zum Ende des 1. Lebensjahres möglich.

- PHACE-Syndrom mit segmentalen infantilen Hämangiomen in der Kopf-Hals- oder Oberkörperregion

Histr: Erstbeschreibung 1996

Engl: PHACE syndrome, PHACES syndrome

Def: Assoziation von großen und segmentalen infantilen Hämangiomen, meist im Gesicht, Kopf oder Halsbereich, mit Fehlbildungen der hinteren Fossa des Gehirns, arteriellen Anomalien des zentralen Nervensystems, Aortenisthmusstenose (Coarktation der Aorta), Herzfehlern und Augenanomalien

Engl: Posterior fossa anomalies, Hemangioma, Arterial anomalies, Coarctation of the aorta, and Eye anomalies

Vork: - eine der häufigsten neurokutanen vaskulären Erkrankungen in der Kindheit mit > 300 berichteten Fällen

- w >> m

Lit: Case Rep Ophthalmol. 2023 Sep 22;14(1):477-483. http://doi.org/10.1159/000533887

Th: - Propanolol p.o.

Lit: Indian Dermatol Online J. 2023 Apr 27;14(3):443-444. http://doi.org/10.4103/idoj.idoj_499_22

- Atenolol p.o.

Pos: kein Bronchospasmus, keine Schlafstörungen (hydrophiles Molekül durchdringt nicht die Blut-Hirn-Schranke)

Lit: Int J Dermatol. 2019 Nov 22. http://doi.org/10.1111/ijd.14618

- Glukokortikoide systemisch

PELVIS-Syndrom mit segmentalen infantilen Hämangiomen in der Lumbosakralregion

Def: Akronym für perineales Hämangiom, externe genitale Fehlbildung, Lipomeningomyelocele, vesikorenale Fehlbildung, Imperforate anus (Analatresie), Skin tags (Hautanhängsel)

Note: Bezeichnung auch als SACRAL- oder LUMBAR-Syndrome

Lit: Semin Cutan Med Surg. 2016 Sep;35(3):117-23. http://doi.org/10.12788/j.sder.2016.047

DD: - kongenitales Hämangiom

vaskuläre Malformation (arteriovenös, venös, lymphatisch, kapillär, kombiniert, arteriovenöse Fistel)

kaposiformes Hämangioendotheliom

büschelförmiges Angiom

Syn: büschelartiges Angiom, Angioblastom

Engl: tufted angioma

Granuloma pyogenicum

amelanotisches malignes Melanom

Syringocystadenoma papilliferum mit leicht verruköser Oberfläche

Dermoidzyste

Gefäßdysplasie (meist bläulich)

Th: ggf. Mikroembolisation nach angiographischer Darstellung

Rhabdomyosarkom

Lit: Pediatr Dermatol. 2011 May-Jun;28(3):299-301

kongenitales Myofibrom

Lit: Indian J Dermatol. 2014 May;59(3):317 (Korea)

metastasiertes Neuroblastom

Lit: Pediatr Dermatol. 2021 Jan;38(1):316-317. http://doi.org/10.1111/pde.14421

Lit: Ballona, R., Zevallos, J., & Núñez, J. (2020). Clinical evaluation of infantile hemangiomas treated with atenolol. Dermatology Online Journal, 26(12). Retrieved from https://escholarship.org/uc/item/0xf7g59m

Th: - Abwarten der Spontanremission (aktive Nichtintervention)

Co: ggf. kosmetisch-operative Beseitigung der Residuen (weiche, prolabierende Bindegewebsmasse mit gefältelter Haut)

- systemische Therapie mit antiangiogenen Medikamenten

Stoff: - Propanolol

Bed: GS bei ausgedehnten oder komplikationsträchtigen Lokalisationen

Co: - systemische Glukokortikoide

Lit: Br J Dermatol. 2016 Aug 1. http://doi.org/10.1111/bjd.14912 (USA)

Ind: therapieresistente ulzerierte Hämangiome

- topisches Timolol

Lit: Pediatr Dermatol. 2019 Apr 9. htttp://doi.org/10.1111/pde.13816

Ind: - bei subkutanen Hämangiomen möglichst bis zum 9. Lebensmonat

- bei superfiziellen Hämangiomen möglichst bis zum 12. Lebensmonat

Aus: positive Effekte wurden allerdings auch bei später Gabe jenseits der Wachstumsphase ( > 1 Lj.) berichtet

Lit: Pediatr Dermatol. 2011 Mar-Apr;28(2):94-8, Pediatr Dermatol. 2015 Feb 26. http://doi.org/10.1111/pde.12520 (Spanien)

- bei problematischen Hämangiomen an manchen Zentren schon vor dem 4. Lebensmonat

Lit: Br J Dermatol. 2013 Jan 10. [Epub ahead of print]

Vor: EKG zum Ausschluss angeborener Herz-Kreislauferkrankungen

Wirk: - Vasokonstriktion durch Hemmung der NO-Synthese

- Hemmung der Angiogenese via Beeinflussung des Zytokinmilieus

Hyp: Down-Regulation von CD147

Lit: Br J Dermatol. 2013 Apr;168(4):739-48. http://doi.org/10.1111/bjd.12193

- Förderung der Apoptose von Endothelzellen

- besonders gutes Ansprechen bei Frühgeborenen

Dos: einschleichend mit 1 mg/kg/Tag, danach meist 2-3 mg/kg/Tag über Monate, aufgeteilt in 2 Dosen für die morgendliche und abendliche Gabe (zu oder nach den Mahlzeiten und über mindestens 6 Monate, häufig bis zum Ende des 1. Lebensjahres)

Phar: Bitte registrieren / anmelden

Note: derzeit noch in der Regel stationär eingeleitet (1-2 Tage) mit hämodynamischem Monitoring und Blutzucker-Kontrollen

Altn: Atenolol

Eig: kardioselektiver Beta-Blocker mit theoretisch günstigerem NW-Profil im Vergleich zu Propanolol bei Pat. mit pulmonalen Komorbiditäten

Lit: J Am Acad Dermatol. 2011 Aug;65(2):420-1, J Am Acad Dermatol. 2014 Jun;70(6):1045-9, Australas J Dermatol. 2018 Dec 4. http://doi.org/10.1111/ajd.12966

NW: - Hypoglykämie

Bed: wichtigste NW

Risk: insbes. bei gleichzeitiger oder ausschleichender systemischer Glukokortikoid-Gabe

- Hyperkaliämie und Hyperphosphatämie als Ausdruck eines Tumor-Lyse-Syndroms

- Glukokortikoide

Dos: 20-40 mg Prednisolon/Tag über 2-3 Wochen

Ind: bei Komplikationen (als systemische Monotherapie obsolet)

- Lokaltherapie

Meth: - Kompressionstherapie als adjuvante Maßnahme

Meth: Druckverband, Pelotte

Vor: geeignete Lokalisation

- Kryotherapie

Ind: Hämangiome mit weniger als 3 mm Dicke

Mat: Cryocare® zur Kontaktkryotherapie mit Peltier-Elementen bei -32°C für 20 sec pro Kontaktpunkt

Pos: weniger NW als traditionelle Stickstoffkryotherapie

CV: Bei Anwendung des Sprühverfahrens umgebende Haut mit harter Zinkpaste schützen

- Laser

Mat: - Blitzlicht-gepulster Farbstofflaser

Engl: Flashlamp pumped pulsed dye laser

Ind: Hämangiome mit weniger als 3 mm Dicke

Dos: 5 J/qcm, ggf. vorsichtig steigern

- 1064 Neodym YAG-Laser

Ind: Hämangiome mit weniger als 3 mm Dicke

- cw Neodym YAG-Laser

Etlg: - transkutan

Ind: Hämangiome mit 3-10 mm Dicke

Meth: Laserung unter Kompression durch Eiswürfel hindurch mit 20-35 W

perkutan-interstitiell über Glasfiebersonde

Ind: Hämangiome mit über 10 mm Dicke (unter Kompression) oder arteriovenöser Komponente

Meth: Positionierung der Sonde über eine Braunüle intratumoral, Koagulation mit 5-6 W

Co: Umstechungsligaturen mit resorbierbarem Faden bei persistierendem Fluss

Co: präoperative Gabe von Glukokortikoiden i. v. (4-5 mg/kg) zur Ödemprophylaxe

- Intense Pulsed Light (IPL)

Ind: vorzugsweise bei Hämangiomen mit weniger als 3 mm Dicke

Lit: Case Rep Dermatol Med. 2011;2011:253607.  

- Glukokortikoide

Etlg: - hochpotente Steroide topisch bei superfiziellen Hämangiomen

Lit: - J Am Acad Dermatol 2005; 52: 281-6

PT: CS

Skinmed. 2010 Jan-Feb;8(1):9-11

PT: RCT

Stoff: Mometasonfuroat 2x/Tag

- intraläsionale Steroide bei dickeren Hämangiomen

Bed: nur second line-Therapie

- Imiquimod 5%

Bed: weitgehend obsolet

Lit: - Arch Dermatol 2002; 138: 881-4

PT: CR

- J Am Acad Dermatol 2004; 51: 639-42

PT: CS (10 Pat.)

Erg: 4x komplette Remission, 4x partielle Remission

- Pediatr Dermatol. 2011 May-Jun;28(3):259-66

PT: CS (44 Pat., Phase II-Studie)

Appl: jede 2. Nacht für 16 Wochen (bei vorwiegend superfiziellen Formen)

- Timolol

Lit: Br J Dermatol. 2011 Apr;164(4):886-8; Pediatr Dermatol. 2012 Jan-Feb;29(1):28-31; Pediatr Dermatol. 2013 Jan;30(1):160-1; Pediatr Dermatol. 2013 Jul 26. http://doi.org/10.1111/pde.12209  

CV: aufgrund von Resorption durchaus Gefahr von Nebenwirkungen

Ind: oberflächliche infantile Hämangiome

Appl: 3x/Tag leicht einreiben

Lit: Dermatology. 2015;230(2):150-5

Stoff: Timolol 0,5% Augentropfen

Co: - fraktionierte CO2-Laserung

Wirk: Erhöhung der transdermalen Resorption

Lit: Pediatr Dermatol. 2014 May-Jun;31(3):286-91 (China)

PT: CS (9 Pat. zwischen 1 und 6 Lebensmonaten mit tiefen infantilen Hämangiomen)

- Brimonidin 0,2% (plus Timolol 0,5%)

Lit: Pediatr Dermatol. 2014 Nov-Dec;31(6):754-6

PT: CR (ulzeriertes infantiles Hämangiom)

- Propanolol

Lit: - J Am Acad Dermatol. 2012 Apr 17. [Epub ahead of print]

Dos: 1%ige Salbe 3x/Tag für durchschnittlich 21 Wochen (bei superfiziellen Hämangiomen)

Erg: 16/28 (57%) mit gutem Ansprechen, 9/28 (33%) mit partiellem Ansprechen

NW: keine

- Ann Dermatol Venereol. 2013 Jun-Jul;140(6-7):462-4. http://doi.org/10.1016/j.annder.2013.04.085 (Togo)

PT: CR

Dos: 2%ige Salbe

Rp: Propanololum-Hydrochloric. 0,5 g, Natriumhyaluronat kosm. 1,5 g, Aqua conservans 48 g

Note: Die intraläsionale Applikation soll ohne Benefit sein.

- Embolisationstherapie

Ind: z.B. Resistenz gegenüber Propanolol, intraorale oder intranasale Lokalisation, Ulzeration

- plastisch-chirurgische Exzision in Ausnahmefällen

KI: Kontraindiziert sind frühzeitige Exzision und Röntgentherapie.

  

Artikelinhalt

©WIKIDERM GmbH • KontaktFAQImpressumNutzungsbedingungenDatenschutzerklärungFacebook